Spiritualität

Die Grundlage …

Um es einmal klar in Worte zu fassen: Grundlage des christlichen Glaubens und des Pfarrer-Berufs ist das Evangelium Jesu Christi – die gute Nachricht, dass Gott existiert und der Welt und seinen Menschen nicht distanziert gegenüber steht. Gott, der Schöpfer unserer Welt und unseres Lebens, sehnt sich nach seinem Geschöpf, seinen Menschen, möchte sich uns zu erkennen geben und eine intensive und harmonische Beziehung mit uns eingehen. Unser Schöpfer liebt sein Geschöpf mit einer Intensität, die wohl auch unsere kühnsten Vorstellungen in den Schatten stellt. Und damit diese Sehnsucht Gottes ganz deutlich und handfest wird, tritt er selbst aus seiner für uns unsichtbaren Wirklichkeit hinein in die sichtbare Wirklichkeit unserer Welt – in der Person des Jesus von Nazareth. In ihm zeigt Gott uns sein Gesicht; an ihm können wir ablesen, wer Gott ist und wie er ist. Durch ihn lädt Gott uns ein, uns vertrauensvoll seiner verborgenen Gegenwart zu öffnen und in Frieden zu leben – in Frieden mit Gott, miteinander, mit der Welt und jede und jeder mit sich selbst.

Christlicher Glaube ist also nicht lediglich ein gläubiges Fürwahrhalten irgendwelcher mysteriösen religiösen Inhalte – christlicher Glaube beschreibt eine Beziehung zwischen Mensch und Gott. Ein Christ bzw. eine Christin ist ein Mensch, der sich die Sehnsucht Gottes gefallen lässt und seine Einladung zum Kontakt mit ihm nicht länger ausschlägt. Und dazu bedarf es keiner religiösen, moralischen oder sonstigen Leistung; die Einladung Gottes gilt jedem Menschen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Status: So sehr liebt Gott die Welt, dass er Jesus Christus schickte, damit jeder Mensch, der ihm Vertrauen schenkt, nicht das Ziel seiner Existenz verfehlt, sondern sinnerfülltes, lohnendes und ewiges Leben haben soll (vgl. Die Bibel: Johannesevangelium, Kapitel 3, Vers 16).

Es lohnt sich, den Inhalt der Bibel bzw. des Neuen Testamentes einmal bewusst und vorurteilsfrei zur Kenntnis zu nehmen, um sich nicht nur via Hörensagen eine eigene Meinung zu bilden. Das Leben ist einfach zu wertvoll, um am Ende nicht doch aufs „falsche Pferd“ gesetzt zu haben …

Beruf Pfarrer …

Manchmal habe ich mich in meinem Berufs-Alltag als evangelischer Pfarrer wie ein „Schamane“ des 21. Jahrhunderts gefühlt – als jemand, der lediglich althergebrachte pseudo-religiöse Riten vollzieht und nur dann gefragt ist, wenn es um wirklich einschneidende Lebensereignisse wie Geburt, Hochzeit, Krankheit und Tod geht  – und traditionell „religiöse“ Feste wie Konfirmation / Kommunion und natürlich Weihnachten … Mit einem wie auch immer gearteten „Glauben“ hatte das selten etwas zu tun; ich befriedigte in der Regel lediglich die meist diffusen menschlichen Bedürfnisse nach „religiöser“ Tradition. Echte spirituelle Inhalte wurden dabei eher billigend in Kauf genommen, aber kaum jemand interessierte sich ernsthaft dafür.

Nur ein Job?

Kein Wunder, dass sich manche einst vom Evangelium überzeugte Kolleginnen und Kollegen über die Riten hinaus auf das „Soziale“ konzentrierten, wenn der innere „Frust“ zu groß wurde. Aber darüber sprach man nicht: Das eigene soziale Engagement war ja wichtig in einer auseinander driftenden Gesellschaft – und das ist es auch wirklich. Nur: Unsere Gesellschaft steht in der Gefahr, jegliches Bewusstsein für eine spirituelle Dimension des Lebens zu verlieren. Erschreckend! Dennoch: Zu viele früher für das Evangelium glühende jungen Theologinnen und Theologen haben die anfänglichen eigenen Ansprüche ihrer „Berufung“ irgendwann im Laufe ihres Berufs-Alltags frustriert ad acta gelegt und machen halt den von ihnen erwarteten „Job“.

Überzeugung …

Bei mir war es ähnlich: Begonnen hatte mein beruflicher Werdegang mit Überzeugung, die bereits im Alter von 15 Jahren langsam begann. Bis 1968 hatte ich nicht das geringste Interesse am christlichen Glauben – und an einem Kontakt zur Kirche schon gar nicht. Eines Tages erhielt ich eine Einladung in eine Essener Stadtjugendarbeit, schaute zusammen mit Freunden zunächst kritisch rein und fand die Angebote gut. Dort bekam ich nach und nach Antworten auf grundlegende Fragen des Lebens und gelangte so vom Zustand eines desinteressierten Kirchenfernen in den Schoss der Kirche: Ich entdeckte die Tragfähigkeit des christlichen Glaubens, arbeitete schließlich ehrenamtlich in einer Jugendgruppe und später in der Leitung der Jugendarbeit mit. Nach dem Abitur studierte ich allerdings zunächst Französisch und Deutsch, denn Theologe und Pfarrer – so etwas wie ein „Profi-Christ“ – wollte ich eigentlich nie werden. Doch gute Freunde überzeugten mich schließlich; ich studierte evangelische Theologie. Während des Studiums engagierte ich mich in einer christlichen Hochschulgruppe; wir wollten in der so kopflastigen Welt einer Universität als Gemeinde Jesu Christi miteinander leben und die Werte und Erkenntnisse des Evangeliums mit unseren Mitstudierenden teilen.

Ernüchterung …

Nach erfolgreichen Examina und anschließender praktischen Ausbildung arbeitete ich als Gemeindepfarrer zunächst im Rheinland, dann im Bergischen Land – mit zunehmender Ernüchterung: Ein ernsthaftes Interesse am christlichen Glauben beschränkte sich (immerhin) auf eine sog. „Kerngemeinde“ von höchstens bzw. immerhin fünf Prozent der Gemeinde-Mitglieder; die große Mehrheit war religiös inaktiv und letztlich desinteressiert.

Ruhestand …

Heute im Ruhestand erlebe ich leider, dass „meine“ Kirche ihre spirituelle Verantwortung vielerorts aufgibt bzw. ignoriert oder vernachlässigt und sich mehr und mehr beinahe ausschließlich noch im „Sozialen“ verliert – in meinen Augen eine für die Evangelische Kirche brandgefährliche Tendenz: Menschen suchen nach Antworten auf die grundlegenden Menschheitsfragen – und wenn die Kirche darauf keine Antworten mehr vermittelt oder vermitteln kann, wird ihre Existenz prinzipiell fragwürdig.

Bereits in meiner eigenen Dienstzeit als evangelischer Pfarrer hatte ich darum zu kämpfen, anstehende Entscheidungen auch im Licht des Evangeliums zu betrachten – oft ohne Erfolg: Die individuellen Interessen des Leitungsgremiums bzw. vor allem seiner einzelnen Entscheidungsträger(innen) standen meist im Vordergrund und behielten die Oberhand. Die Perspektiven des Evangeliums spielten dabei letztlich höchstens eine untergeordnete Rolle.

Frust …

Und so bleibt ein gewisser „Frust“ über eine für mich mitunter „verstörende“ aktuell fast nur noch am sog. „Zeitgeist“ ausgerichtete Kirche, die ihre Kern-Botschaft auf Liebe, Menschlichkeit und Humanismus reduziert und sich letztlich in grün-politischen Statements erschöpft.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner